Wuhan Diary by Fang Fang

Wuhan Diary by Fang Fang

Autor:Fang Fang
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783455010381
Herausgeber: Hoffmann und Campe


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Unsere Tränen fließen noch immer

Das Neujahrsfest entschwindet mehr und mehr unseren Blicken.

Das Wetter wechselt zwischen trüb und klar. Das verstärkt den Druck aufs Gemüt der Leute. Heute ist Sonntag. Das größte Problem des ewigen Stubenhockens ist, dass man das Datum und die Wochentage vergisst. Wann wird man wieder ins Freie gehen können? Wann wird die Stadt wieder geöffnet? Das sind die Fragen, die uns beschäftigen. Wir bekommen die Epidemie unter Kontrolle, das steht außer Frage. Die Bevölkerung des ganzen Landes hilft Wuhan, über diese schweren Zeiten hinwegzukommen. Wir werden es schaffen, daran zweifelt niemand in Wuhan. Nur, wann genau können wir wieder ins Freie, wann genau wird die Stadt geöffnet? Jeder sucht auf seinen Kanälen nach Antworten.

Mein drittältester Bruder sagt, er habe seit 42 Tagen die Wohnung nicht verlassen. Ich habe es etwas besser, ich kann im Hof spazieren, wenn es mich ins Freie drängt; dort zumindest ist es sicher. Meine Tochter führt heute in der Familiengruppe stolz ihr selbst gekochtes Essen vor. Zwar geht einem das ständige Gerede übers Kochen auf die Nerven, aber sie bemüht sich, aus eigenen Kräften eine gewisse Lebensqualität aufrechtzuerhalten. Das rot geschmorte Schweinefleisch sieht in der Tat lecker aus. Sie habe in der letzten Zeit abgenommen, sagt sie, aber nach dieser Portion dürfte sie wieder einige Pfunde zulegen. Ihr Vater lobt sie in den Himmel. Wir unterschätzen gern die Fähigkeiten der jungen Leute. Meine Tochter sagt, sie habe im Netz alle möglichen Rezepte herausgesucht. Daran erkennt man, dass ihnen diese Dinge nicht von den Eltern beigebracht werden müssen, sie haben ihre eigenen Methoden und erstklassige Lehrer in Mengen.

Noch immer stürzen mit fortschreitender Zeit bedrückende Dinge auf uns ein. Die Katastrophe überhäuft uns damit, und es bedarf keiner großen Anstrengung, unsere Tränen hervor zu locken. Eine Kollegin schickt mir ein Video, es stammt aus ihrer Wohnanlage. Während sich ein Bewohner bei einem Funktionär des Viertels bedankt, rinnen ihm die Tränen übers Gesicht. Jemand hat einen Kommentar daruntergelegt: »Wuhans Bürger vergießen in einem Monat die Tränen von Jahrzehnten.« Das ist die reine Wahrheit. Es sind nicht nur Tränen der Trauer, es sind Tränen, in denen sich sämtliche Arten von Gefühlen mischen. Von diesen Menschen zu verlangen, dass sie Loblieder anstimmen und mit geschwellter Brust und gereckten Fäusten daher stolzieren, dass sie der Welt laut verkünden, wir sind die Sieger, wir sind die Größten, dürfte einigermaßen unmöglich sein. Denn unsere Tränen fließen noch immer.

Am frühen Morgen gegen fünf Uhr ist Jiang Xueqing gestorben, der Chefarzt des Zentralkrankenhauses, in dem auch Li Wenliang seinen Dienst tat. Er war gerade 55, auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass man in Wuhan viele Leute nicht unbedingt persönlich, aber zumindest vom Hörensagen kennt. Ich habe ihn nicht persönlich gekannt, aber die Frau eines Kommilitonen kannte ihn gut. Sie schickt mir heute Morgen einen Kommentar: »Ein Whistleblower war er nicht, aber ein warmherziger Mensch, ein treuer, stets verlässlicher Freund. Die Patienten vertrauten ihm, die Freunde schätzten den Umgang mit ihm. Er hat mir bei der Behandlung unzähliger Patienten geholfen und dabei oft gesagt: ›Schwesterchens Aufträge sind mir eine heilige Pflicht.



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